Die vorangegangenen Haushaltsberatungen waren für die KfB Fraktion und auch für mich eine spannende Erfahrung.
Ich selbst blicke auf 25 Jahre Erfahrung im Bereich Finanzen und Controlling von mittelständischen Unternehmen und Konzernen zurück. Wenn man nun erstmals den Haushaltsprozess – also von der Erstellung bis zur Diskussion – in Kronberg erlebt, dann hat man den einen oder anderen Überraschungseffekt. Von diesen Überraschungseffekten möchte ich gerne berichten.
Überraschungseffekt 1:
Den ersten Überraschungseffekt teile ich offensichtlich mit einigen anderen Fraktionen und das ist ja nun schon hinlänglich diskutiert worden. Der Haushalt 2016 wurde erst im Februar 2016 eingereicht, in den letzten Wochen diskutiert und soll nun „verabschiedet“ werden, obwohl das erste Halbjahr bereits fast vorüber ist. Wenn ich an den Begriff „Verabschiedung“ denke, stelle ich mir vor, ich stünde am Hafen und will dem Dampfer zum Abschied winken. Aber unser Haushalt fährt schon am Horizont. Es ist müßig, daran zu erinnern, dass Sie und ich, sehr geehrte Stadtverordnete, unserer Verantwortung zur Überwachung des Magistrats und der Verwaltung so nicht gerecht werden können. Das Schiff ist ausgelaufen, ohne dass wir den Motorencheck gemacht haben.
Überraschungseffekt 2:
Die Einnahmen. Der Unternehmensalltag besteht darin, sich um Bestandskunden zu bemühen und neue Kunden zu akquirieren. Bei der Planung des kommenden Jahres wird überlegt, welche Zielkunden man akquirieren will und mit welchen Vertriebsideen man an die begehrten Neukunden herankommt und wie viele neue Kunden man wohl im kommenden Jahr gewinnen kann. Das ist in Kronberg offensichtlich anders. Zwar steht in den Zielen des Haushalts, dass man die Gewerbesteuereinnahmen erhöhen möchte und attraktiv sein will für neue Gewerbeunternehmen. Aber ein Blick in die Zahlen zeigt, dass kein einziges neues Unternehmen lt. mittelfristiger Planung bis 2018/19 die Gewerbesteuereinnahmen erhöhen wird. Vielmehr hat man in der mittelfristigen Ergebnisplanung brav mit knappen durchschnittlichen 1,7% (was gerade mal etwas mehr ist als der Anstieg des BIP; lt. Statista 2016 erwartet uns in Deutschland für 2016 und 2017 ein moderater Anstieg des BIP um 1,6 bzw. 1,7%) die Gewerbesteuereinnahmen Jahr für Jahr angehoben – und dass, obwohl die Stadt schon seit vielen Jahren in Wirtschaftsförderung investiert. Wenn man aber nicht an die eigene Wirtschaftsförderung glaubt – wieso investiert man dann? Oder macht man da etwas falsch?
Wenn also alles so weiter geht wie bisher und die Einkommenssteueranteile ebenfalls moderat weiter steigen, dann werden wir ohne Sondereffekte in 2017/18 mit einem hauchdünnen positiven operativen Ergebnis in die Zukunft gehen. Doch wehe, wenn uns wie bei unseren Nachbarn in Oberursel aus heiterem Himmel eine dicke Rückzahlung ereilt. Dann ist das Jammern groß, denn dann fallen die letzten freiwilligen Leistungen zwangsläufig dem Sparen zum Opfer. Fakt ist: Wir fahren ohne Reserven mit Volldampf weiter!
Überraschungseffekt 3:
Die Einnahmen (also im Wesentlichen die Gewerbesteuer und der Einkommensteueranteil) steigen ohne wirkliche Fakten-Grundlage für diese Annahmen moderat an. Die Kosten steigen jedoch lt Haushalt 2016 zwangsläufig und mit 100%iger Wahrscheinlichkeit an. Die tariflichen Steigerungen im Haushalt sind bereits eingepreist und die Stellen nehmen weiterhin zu. Der geplante Gewinn ab 2018 ist hauchdünn und jedes laue Lüftchen kann unseren Dampfer auf die Schlagseite bringen (siehe Oberursel). Ein Risikomanagement und einen Puffer haben wir nicht. Die KfB hat in den Haushaltsberatungen gefordert, den Stellenplan zu ergänzen um einen Fluktuationsplan. Damit kann man absehen, welche Stellen künftig neu besetzt werden müssen und rechtzeitig überlegen, ob diese Stelle besser für andere Zwecke oder gar nicht mehr genutzt werden muss. Der Bürgermeister hat sich jedoch dagegen ausgesprochen mit dem Hinweis, dass es sich hierbei nicht um eine Entscheidung der Stadtverordneten handelt, sondern um seine Entscheidungsdomäne. Schade, denn eine Fluktuationstabelle bietet einer Verwaltung die Chance, ohne erzwungenen Personalabbau die eigenen Optimierungserfolge zu nutzen.
Überraschungseffekt 4:
Die Ziele. In den Zielen des Haushalts steht wortwörtlich direkt zu Beginn: „Die Konsolidierung des städtischen Haushalts ist ein primäres Ziel für Politik und Verwaltung“. Betrachtet man sich den Haushalt 2016, dann konsolidieren wir nicht, sondern wir haben einen Haushalt 2016 vor uns liegen, der Kostensteigerungen zeigt, eine Zunahme um 4 Stellen und keinen Ansatz für künftige Konsolidierungsideen. In der Kürze der Zeit war keine Gelegenheit, die Ziele des Haushalts wirklich zu diskutieren – auch die SPD hatte noch Änderungsvorschläge, die nun in einem späteren Ziele Workshop – so hat es die Verwaltung versprochen – nochmals diskutiert werden sollen. Und erst auf dieser Basis kann überhaupt zwischen Politik und Verwaltung eine gemeinsame Planung stattfinden. Wir müssen wegkommen vom „Durchblättern“ von über 400 Seiten Haushaltsvorlage, bei dem jeder noch den ein oder anderen Wunsch äußern darf, und hin kommen zu einer gemeinsamen Zielplanung und einem daraus abgeleiteten Haushalt.
Um es noch einmal mit Nachdruck zu sagen: Wir begrüßen den Vorschlag der Verwaltung, eine Wirkungsorientierung (wie im Teilhaushalt 1 bereits testweise erstellt) und Leistungskennzahlen in den Haushalt zu integrieren. Wir finden den Vorschlag des Bürgermeisters – so geäußert in den vorangegangenen Haushaltsberatungen – einen gemeinsamen Ziele-Workshop vor den Beratungen des Haushalts 2017 zu veranstalten sehr gut und freuen uns auf die konstruktive Zusammenarbeit.
Den Haushalt 2016, der ja bereits zu 50% Realität geworden ist, können wir als KfB jedoch aus den genannten Gründen in dieser Form nicht verabschieden.
Wortbeitrag Dr. Andrea Marlière, Stadtverordnetenversammlung 2.6.2016
So hat die Presse berichtet:
Taunus-Zeitung vom 4.6.2016: Dampfer ist schon abgefahren